Seelenlos:
LIEBE Part 1
SLOW GRIND 2
Es fällt
mir schwer, das Verlangen zu unterdrücken, mich
auszulöschen. Schon lange nicht mehr hatte der
Gedanke eine Pistole zu nehmen, hinaufzugehn und mein
Gehirn übers Zimmer zu verteilen etwas derart verlockendes
und zwingend überzeugendes an sich. Es würde
sich ganz rhythmisch anfühlen, einfach ratsch,
klick, WUMM und weg. Nichts mehr wissen. Nichts mehr
fühlen. Nichts. Erlösung. Endlich.
Jahrelang hatte ich auf den
Weltuntergang gewartet, nur damit ich mich nicht selbst umzubringen brauchte.
Ich erinnere mich, wie ich mich als Kind möglichst gerade und schön
aufs Bett legte, mich nicht mehr bewegte und darauf wartete in einer möglichst
perfekten und ästhetischen Körperhaltung zu sterben, damit die
andern sehen würden, dass es kein Zufall gewesen war.
Seit ich 18 war und mich
das erste Mal bewusst hatte umbringen wollen, wusste ich, dass ich keine
Familie gründen und nicht glücklich werden würde. Ich hatte
zwar früher schon so ne Ahnung gehabt, doch bis dahin hatt ich immer
geglaubt, ich würd das schon noch hinkriegen. Seit mir dann klar geworden
war, dass da wohl nix mehr werden würde, fragte ich mich unablässig,
wie es wohl soweit gekommen war.
Und die ganze
Zeit
hatt ich immer
gedacht,
wenn ich's
erst mal wüsste,
würd ich's
schon noch
packen können.
Als ich das letzte Mal in
der Sonne lag und das warme Gefühl in meinem Körper sich ausbreiten
liess, fühlte ich mich zugleich plötzlich von Dankbarkeit durchflutet,
dass ich hier in der Sonne liegen konnte und so alt geworden war, dass
ich's doch noch hatte herausfinden können. Als nächstes fühlte
ich ein stechendes leises Brennen am Kopf. Als ich hinlangte bemerkte ich,
dass es die kleine Geschwulst in meiner Kopfhaut war, die ich schon vor
Monaten bemerkt und zu ignorieren beschlossen hatte, und dass sie mittlerweile
aufs Doppelte angewachsen war und sich wie gesagt alles andere als gut
anfühlte.
Ich brauchte zwei Tage, mich
zu überwinden und einen Arzttermin zu vereinbaren. Als erstes meinte
er, ich hätte die letzte Rechnung vor drei Jahren noch nicht bezahlt
und müsse dies nachholen. Als er mir dann sagte, die Geschwulst sei
lediglich ein Fibrom und nicht weiter schlimm, und ich ihm antwortete,
dies habe ich eigentlich von ihm hören wollen, kam mir der Klang meiner
eigenen Stimme plötzlich fremd vor und ich konnte mir selbst nicht
glauben.
Ich weiss, ich trage so viele
tötelnde Sachen in mir, dass mich eher wundert, warum ich überhaupt
noch am Leben bin, als wenn ich schon längst an Krebs oder so abgekratzt
wär. Nicht dass mir das die Angst nehmen würde, im Gegenteil.
Obwohl ich in meinem Leben schon ein paar Mal gestorben bin, kann es sich
immer wieder wie neu anfühlen, und in der Regel ist es alles andre
als angenehm. Diesmal fühlt es sich an wie echt. Ich krieg überhaupt
nichts mehr mit, ausser wie es mit meinem Körper endgültig abwärts
geht, und vielleicht noch, dass ich nicht der einzige bin, der hustet,
und dass es noch andere gibt, die sich trotzdem immer wieder verlieben.
Seit der
vorletzten Party muss ich morgens jeweils wieder Blut
husten. Es fällt mir schwer, das Verlangen nach
den nächsten Joints zu unterdrücken. Nicht
dass ich keine Drogen mehr nehmen würde, ich esse
sie einfach. Vielleicht hätte ich bloss vor sechs
Stunden doch noch etwas mehr essen sollen. Doch am schwersten
fällt mir, auf das angenehme Gefühl in meiner
Brust zu verzichten, das mich langsam Stück für
Stück schneller tötet. Ich werde niemals loslassen.
Diesmal nicht mehr. Nicht solang noch etwas übrig
...
Das ganze Dasein reduziert
sich auf existenzielle Fragen wie: Wird der Schmerz nachlassen? Hat es
noch Bier? Werde ich morgen noch da sein? Fahren die Drogen noch schnell
genug ein? Wird es überhaupt ein Morgen geben? Was ist es, was ich
noch gebraucht hätte? Was müsste ich noch dringend tun? Weshalb
hab ich nicht den Mut dazu?
Eigentlich
ist's ja so banal und abgedroschen, und ich buchstäblich
nochmals an ihr vorbeigelaufen grad als mir langsam
klar wurde, dass ich dieser Frage nicht mehr länger
würde ausweichen können. Dass dies wohl meine
allerletzte Chance gewesen wäre, merkte ich allerdings
erst 15 Jahre später.
Ich verwünsche die alte
Schlampe von Lehrerin, die uns nebeneinander in diese Scheissschulbank
setzte. Damals verstand ich den Blick nicht, den sie uns dabei zuwarf,
doch heute könnte ich sie dafür in die Fresse schlagen, wenn
sie nicht schon tot wär, und nicht einmal der Umstand, dass sie nie
einen Mann hatte und auch allein gestorben war, kann da was ändern,
im Gegenteil.
Eigentlich waren dann all
meine realen Beziehungen ein Versuch, diese erste Liebe entweder nachzuholen
oder zu vergessen, und alle Frauen, mit denen ich was hatte, waren entweder
wie sie oder ihr Gegenteil. Und ich dachte immer, ich hätte nie an
wahre Liebe geglaubt.
Wenn ich die Augen schliess,
seh ich sie vor mir, wir küssen uns und laufen der Sonne entgegen
in die Felder hinaus. Ich weiss, wenn ich sterbe, werde ich dich wiedersehn.
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(SLOW
GRIND 3)
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