Seelenlos, Zelle 221A      
    c/o Flughafengefängnis, Abt. Strafvollzug, Postfach, 8058 Zürich-Flughafen     
       11. April 2000 
 
Iyi günler  
(Türkisch: Guten Tag)   

Freut mich aber wirklich, dass meine Briefe auch dem ehrenwerten Genossen Zensor so gut gefallen (Hallo!), dass er mittlerweile gewohnheitsmässig mehr als die Hälfte mindestens einen zusätzlichen Tag zurückbehält und sie anscheinend sogar noch mit nach Hause nimmt. (Schliesslich leben wir ja in einer Demokratie. Freu mich auch in diesem Fall schon jetzt, dereinst die Fichen darüber zu lesen.) Herr Dalla Valle (Chef Insassen) hat mir inzwischen zwar zugesichert, die Sache "abzuklären", doch dieses Stichwort kennt ihr wohl inzwischen schon.  

Nicht etwa, dass er mir übrigens diesen Bescheid von sich aus gegeben hätte, wo denkt ihr auch hin, dies ist der kleine Knast drinnen und nicht der grosse draussen, doch ich hatte gestern unerwartet hohen Besuch in meiner Zelle und nützte die Gelegenheit zur Nachfrage, und ja, er hatte meine diesbezügliche Beschwerde mit nur 1 Werktag Verspätung gestern erhalten, gut dass ich ihn daran erinnerte.  

Grund der überraschenden Visite ein Fax aus Dänemark: "Sagt Ihnen TV-STOP etwas?" Aber klar doch, denen gebe ich jederzeit gerne ein Interview. Mit dabei auch Abteilungsleiter Herr Rohner, freundlich und gut aufgelegt, den angebotenen Stuhl lehnt er dankend ab mit der Begründung, er sei noch nicht verurteilt und dürfe deshalb nicht sitzen. Sogar geklopft hatte es bevor die Tür aufging, wenn ich mich nicht sehr täusche das erste Mal während meines gesamten Aufenthalts hier überhaupt, und Herr Rohner fragte auch höflich, ob sie denn eintreten dürften.  

Trauten sich diesmal auch ganz allein in die Höhle des Löwen, sprich der Wachhund bleibt bei geöffneter Türe draussen im Gang, durch welchen Vertrauensbeweis ich mich übrigens nicht weniger geschmeichelt fühlte, wie als sie beim 1. Besuch nebst dem Stockchef zusätzlich noch den breitesten Kleiderkasten mit reinnahmen, der grad Dienst hatte, und der auch vorher schon zu meiner Einlieferung abkommandiert worden war. (Ihr seht, ich bin nicht nur eitel, sondern auch zivilisiert.)  

Tja, mein schönes Heim, die geliebte Zelle 221, die ich privilegierterweise ganz allein bewohnen darf. (Albaner und Moslems werden da zu zweit oder gar zu dritt reingepfercht.) Höchste Zeit sie auch euch etwas näher zu bringen. Stellt euch n paar frisch durchgeschwitzte alte Turnschuhe und n vollen Aschenbecher unter die Nase, setzt ne tannengrüne Brille auf, schliesst die Augen und stellt euch vor: 

Der Grundriss beträgt grosszügige 4 x 3.10 Meter bei einer Höhe von 2.80, an der Querwand zum Gang logischerweise die Tür, an der nach aussen das Fenster, von kompetenten Architekten sinnreich ersonnnen, wie ihr seht. An der einen Querwand bei der Tür die Klo-Zelle-in-der-Zelle, Ausmass 2 x 1 m, an der andern beim Fenster ein festverschraubtes Kajütenbett, Grösse 2 x 0,75 Meter, das es wahrlich in sich hat, doch dazu später. Die Zellen sind jeweils symmetrisch aneinander gebaut, sprich Klo an Klo und Bett an Bett. Bei mir ist das Klo nachm reinkommen links, der Buchstabe bei Nr. 221 A bedeutet in der Regel die untere Pritsche.  

Innen drin ist der Klo-Verschlag gegen den Gang 40 cm weniger lang, dort verstecken sich Spülung (bemerkenswert geräuschlos, muss ich zugeben, da nehm ich' auch gern in Kauf, dass man öfters mal nachspülen muss), Ablüftung sowie der ausserhalb der Klo-Zelle zwischen Zellen- und Klotüre sich befindliche sogenannte Zellenruf, ein Knopf mit Lämpchen, das nachher leuchtet, plus Gegesprechanlage, Marke Phillips, Modell M 100, ähnlich wie die Klingeln aussen bei Hochhäusern, doch etwas robuster. (Einschalten der Kommunikation aus dem Wachraum kündigt sich durch einen Sinuston an, so dass die Abhöre zumindest offiziell nicht ohne Vorwarnung eingeschaltet werden kann.) 

Innen im Klo vom Gang her das Klo samt Besen, der Abfallkübel, ein Waschbecken mit fliessend kalt und kalt Wasser, drüber einem kleinen Abstellbrett für Zahnbürsten etc, an dem man sich nach erfolgter Abfallentsorgung jeweils wundervoll den Schädel eindellen kann, plus n Blechspiegel, drüber Neonröhre Marke Tulux, die obligaten Blutflecken ringsum kennt ihr ja schon. Bis auf 1 Meter 40 ist das ganze weiss gekachelt, aussen hat's ne ebenfalls angenehm leise Schiebetür, rechts davon n Plexiglaskästchen mit Hausordnung und so.  

Gleich hinterm Klo-Verschlag an der Längswand 2 übereinandergebaute Spanplattenkästen je 1 Meter hoch, 45 cm breit und 55 tief. 

An der Querwand in der Ecke ein angeschraubter Tisch, 120 auf 70 cm, darüber 2 Regale mit Radio (Grundig, Music Boy, sieht nicht aus als kämen da Bässe raus) und Nokia TV, Diagonale 34 cm. (Letzterer kost scheints Miete Fr. 1.- pro Tag, ab 3 Mann in der Zelle jedoch umsonst. Und obwohl ich ihn weder beantragt noch je benutzt habe, werden sie ihn mir bestimmt verrechnen wollen, doch das werden wir dann ja sehn, gelle.) Oben an der Decke ne Neonröhre.  Die 2 Plastikstühle, wie könnt's auch anders sein, erwartungsgemäss haltungsschädigend, doch dafür 100% Gefangnissicherheitskompatibel. Ebenfalls quasi zum Tisch gehören ein Körbchen mit einem Napf, 2 Bechern, Gabel, Messer, 2 Löffeln und einem Schneidebrettchen, natürlich alles aus Plastik, das Messer mit rausgebrochenen Zacken und auch sonst stumpf wie gewisse Untersuchungsrichter.  

Zwischen Tisch und Bett das Fenster, 1 Meter hoch und 1.10 breit, doch öffnen lässt sich nur der kleine Flügel, knapp 40 cm, und dort ist das massive quadratische Gitter alle 15 cm zusätzlich mit einem zweiten, immer noch ziemlich dicken 1 cm Quadrat-Raster versehen.  

Die Aussicht auf die Start- und Landebahn West (Ah, Kerosin! Lecker, lecker! Und fast gar nicht krebserregend!) sowie den Autowaschplatz (Flughafenbullen live am schrubben! Scheiben polieren! Sehn plötzlich so ganz anders aus!) kennt ihr ja bereits. Gleich hinter der Spazierhofmauer, unmittelbar nach der Video-überwachten "Todeszone" mit zweifachen Stacheldrahtzäunen zudem n kleiner Fussballplatz der Luxussonderklasse. Seit ich hier bin, wurde zwar darauf noch nie gespielt (Ok, zwei,drei mal trainierte eine Handvoll paar Minuten über Mittag, und im Sommer gäb's n Turnier und zwei, drei Spiele), doch der Rasen, halleluia, neulich grad zum dritten Mal seit meiner Ankunft maschinell verkürzt worden. Läuft offiziell über's Feuerwehrbudget. Sprich alles auf Kosten desselben Steuerzahlers, aus Rücksicht auf welchen ich beispielsweise Medikamente und gehaltvolle Nahrung nochmals ne Woche aufschieben darf. Klingt glaubwürdig. Leuchtet ein. Nicht mehr aufregen. Nur noch wundern. Alles psychisch. Kein Problem. 

Kommen wir schliesslich zur sinnreichen Krönung des Ganzen, dem Ruhelager. Die spartanischen Masse (2.0 x 0.75) sind euch ja bereits bekannt. Auf den 1. Blick sieht's nicht mal übel aus, ein veritables "Lättli-Bett", doch wie so oft trügt der Schein auch hier. Bettlatten, die jeder (zuvor gekonnt bis aufs Blut gereizte) gemeingefährliche Häftling herausnehmen und dem Spiess um die Ohren hauen könnte, Genossen, bewahre, Gefängnissicherheit geht vor! 

Folglich werden die Latten im Sandwich der Länge nach durch 2 Metallschienen, deren untere mit dem Bettgestell fest verschweisst ist, hieb und stichfest fixiert. Damit ist zwar der ganze Witz beweglicher Latten dahin, doch ein bisschen Rückenschaden hat ja bekanntlich noch niemandem wirklich wehgetan, alles nur psychisch, will sich wohl vor der  Zwangsarbeit (§ 36 GVO) drücken, faules Pack. 

Denn der wahre Clou kommt erst: Aneinander fixiert sind die Metallstreben mittels 8 Schrauben, deren Köpfe zwar sehr schön flach und in die Löcher vertieft sind, doch - vermutlich aus "betriebstechnischen Gründen" - sind nicht etwa die flachen Köpfe oben (wozu auch), sondern die gut erbsengrossen Muttern, zwar in jeweils etwa 3 cm langen und 1 cm tiefen Senken, doch bei den knapp 10 cm dünnen Schaumgummimatrazen musst du nicht die Prinzessin ausm Märchen sein, um die Erbsen einzeln an Rückgrat, Beckenknochen usw zählen zu können. 

Doch schliesslich sind wir ja zur Strafe hier und nicht zum Vergnügen - oder gar um auszuschlafen! Wär ja noch schöner! Maulhalten und ohne Schuhe und Unterwäsche ab in den Bunker!  

Fazit: Auch anhand anderen Grob- und Feinheiten kam sogar mir als bautechnischem Laien sehr bald der (später bestätigte) Verdacht, dass nach Aussenmauern, Überwachungskameras, Schliesssystemen usw. das Budget plötzlich und unerwartet alle war, worauf der Rest irgendwie zusammengeschustert wurde. 

Fürs Abdichten der Wand- und Bodenfugen hat's z.B. ebensowenig gereicht wie für's ursprünglich projektierte Warmwasser, und wenn die Zulüftung kein Verbrechen wäre, so wär sie ein (schlechter) Witz, denn die meiste Zeit kommt da der Rauch aus den anderen Zellen rein und höchst selten mal sowas wie Frischluft. Ohne SSI-Leuchtpapier zum Abkleben wär ich jetzt noch dauernd am husten. (Aus psychischen Gründen selbstverständlich.)  

Zum Schluss dieser kleinen Exkursion nochmal paar Worte zur übrigen Innenarchitektur (zu Türe samt Sichtfenster und Futterluke nächstesmal). Farblich orientiert sich das Ganze an dem Tannengrün der Gitter und Fensterscheuklappen, das ihr vielleicht von den Aussenaufnahmen her kennt, wobei Aussen- und Klotüre gleich gehalten sind, der abwaschbare Plastik-Fussbodenbelag und das Bettgestell etwas heller, die Querwand zur Tür und der Klo-Verschlag innen und aussen dann ein sehr blasses wiesengrün, die übrigen Wände und die Decke hellocker, mittlerweile gut nikotinnachgedunkelt, mit den anderswo schon erwähnten diversen Blutspritzern und Lachen.  

Für optische Abwechslung ist also gesorgt, Reizentzug und Isofolter erfolgreich durch Restorama-Frass und systematische (Bürokratie-)Schikanen ersetzt.  

Damit's dann aber doch nicht zu bunt und individuell wird, dürfen laut Hausordnung (Zellenordnung 3., gemäss § 33 GVO) "Zur Schonung der Wände (bedenke, hicks, der Steuerzahler..) [...] Bilder und Fotos nur auf dem dafür vorgesehenen Anschlagleisten befestigt werden." (= 2 Pinnwände 10 x 170 cm, eine zwischen Eingang und Bett, die andere zu einem Viertel von TV verdeckt, zwischen Kasten und Fenster. Ob diese bemalt werden dürfen oder nicht steht nirgends, doch Herr Rohner guckte nicht grad begeistert, als er beim 1. Besuch "DER KLEINE HIRNFICK" und "www.blutgeil.com" entdeckte, doch ich hab's halt nicht gewusst und werd's auch nicht mehr tun.  

(Na, Herr Zensor, wie hat's Ihnen denn diesmal gefallen? Oder zu wenig schlimm diesmal? Na, dann bis zum nächsten...)  
  
Heuer mit einem 3-fachen:   Pilet-Golaz* - Heil! Heil! Heil!  
   
                              Cheers   

 
 

Antwort: (Kennen Sie nicht? War der Bundesrat während des 2. Weltkriegs, welcher nicht nur aussah wie ein Adolf für arme, doch das war ja auch noch bevor wir all das schöne Gold einfach so behalten durften.)

 
Fortsetzung ...
 

No.  6'666'667
 
 
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