In Sachen grauen Zellen kann ich eigentlich überall meist gut mithalten, doch was Lungen, Magen, Darm, Nieren, Blase, usw betrifft, so muss ich wohl damals bei der Ausgabe etwas weiter hinten in der Schlange gestanden haben. Das heisst u.a., wenn ich dasselbe esse und tue wie alle andern auch, so wiege ich schnell mal bloss noch 50 Kilo, muss alle 2 Monate zum Arzt, brauche jährlich mindestens 1 mal Antibiotika usw. Ausserdem habe ich diese Beulen auf dem Kopf, Gewebsveränderungen in Haut und Lunge etc. Statistisch gesehen liegt wohl meine Lebenserwartung nicht besonders hoch. Mit den Jahren habe ich jedoch herausgefunden, dass ich halt etwas anders und mehr essen und trainieren muss als die meisten um meine 75 kg auf die Waage zu bringen und auch keine Rückenschmerzen zu haben. Seit ich einen fähigen homöopatischen Arzt gefunden habe, komme ich mit einem Arztbesuch alle 2 bis 3 Jahre gut über die Runden und habe seit über 10 Jahren keine Antibiotika mehr gebraucht. Jedoch nur solange ich meine Diät halte (Hauptsächlich viel Früchte, Müsli, Joghurt, Knoblauch, Kräutertees usw.) und gewisse Dinge nicht übertreibe. Kommt dazu, dass ich vor 2 Monaten eine Operation hatte, die nicht optimal verlief, und nach der ich 1 Monat im Bett liegen musste, wobei ich 5 kg abnahm, und von der ich mich immer noch nicht erholt habe. Aus diesen Gründen liess ich mir vorgängig von meinem Hausarzt ein Zeugnis betreffend Diät, Physiotherapie und homöopatische Medikamente ausstellen, damit ich während meines Knastaufenthaltes keine körperlichen Schäden erleide. Denkste! 2. Eintrittsgespräch Arzthelfer Der Arzt hier im Sondergefängnis, Dr. Holy, hat eine Praxis ausserhalb und kommt nur ab und zu hierher um sich einen zusätzlichen Verdienst einzuheimsen. Medizinische Betreuungsperson im Haus ist der Gehilfe Herr K., laut einem Mithäftling eigentlich ein gelernter Veterinär (=Tierarzt) - sollte dies nicht den Tatsachen entsprechen, so wäre es doch zumindest treffend erfunden, wie das italienische Sprichwort sagt. Primär interessiert ihn bloss, ob er
mir Methadon oder ein Alkoholentzugsprogramm verschreiben
muss. Als dies nicht der Fall ist, lässt seine Aufmerksamkeit rasch
nach, er notiert sich nicht einmal mehr meinen
Hausarzt. Ein Arztzeugnis wegen Ernährung bzw Vitamintablettensei
von Urdorf nicht übermittelt worden und interessiere ihn
auch nicht, sei alles kein Problem, ich habe genug Vitamine
für meine 33 Tage Haft im Körper gespeichert, z.B. Vitamin
C für 18 Tage (höre ich zum 1. Mal), ich soll mich nicht
so anstellen.
4. Kurze Arztvisite Dr. Holy 22.03. Nach 3 Tagen hat der Onkel Doktor etwas Zeit für mich. Ohne mich überhaupt anzusehen, geschweige denn meinen Bauch zu untersuchen, meint er, ich habe gar keinen Durchfall, meine Bauchschmerzen seien psychisch bedingt, sprich ich sei ein Simulant. Sein "Beweis": Meine normale Kost (Müsli und Früchte) produziere der Ballaststoffe wegen Durchfall (!!!), wenn ich also wegen der Umstellung Probleme hätte, wäre ich folglich jetzt verstopft. (Damals hatte ich noch nicht Solschenizyn gelesen und kannte deshalb die GULAG-Regel nicht: Durchfall ist mindestens drei Mal stündlich mit Blut im Kot drin, sonst ist's kein Durchfall!) Dies sei kein Hotel hier (ich habe ja auch nach Pralinestengeli und Sachertorte verlangt). Wenn ich wolle, könne er mir ein Mittel gegen Durchfall geben. Wenn ich unbedingt wolle, könne ich ja die Vitamintabletten aus den Effekten haben ("Gegen Vitamintabletten haben wir nichts"). Natürlich dauerts dann nochmals paar Tage plus das eine oder andere zusätzliche schriftliche Gesuch, bis ich sie auch tatsächlich erhalte. Auf keinen Fall aber könne ich andere Kost kriegen oder gar Essen von draussen kaufen. Mein Arztzeugnis sei immer noch nicht aus Urdorf eingetroffen, deshalb könne er leider nichts machen. Währenddessen führt er ein privates Natel-Gespräch ("Jaja, Schatz, ich bin gleich zu Hause") und hat danach keine Zeit mehr für mich. Damit ich Ruhe gebe, gibt er mir das (wie sich herausstellte leere) Versprechen, meinen Hausarzt zu sprechen wegen dem Zeugnis. Eine Bewilligung für das homöopatische Medikament gibt's ebenfalls nicht. Als ich ihm sage, dass ich bei dieser Kost
krank werde, lacht er mich bloss aus, ich würde schon nicht
so schnell verhungern. 5. Business as usual: "Nicht vergessen..." - Arztvisite verweigert 23.-29.03. Ich werde morgens 29.3. zu Arzthelfer Herr K. gebeten. Dr. Holy sei gestern dagewesen, doch ich hatte gerade Besuch, "und da wollen wir prinzipiell nicht stören." (Dass ich von 15 bis 16 Uhr Besuch hatte, war dem Gefängnis seit Freitag, 24.03. bekannt.) Aber man habe mich nicht vergessen und auch keinesfalls beiseite schieben wollen. Dr. Holy sei Freitag wieder da und werde mich dann sehen. Ich könne Salvia, Echinacea und Tees per Spezialeinkauf bestellen, aber erst auf Freitag nächste Woche, da der mit dem Spezialeinkauf betraute Beamte diese Woche einen erkrankten Kollegen vertreten müsse. (Am 22.03 war mein diesbezügliches Gesuch um Spezialeinkauf von Dr. Holy noch abgelehnt worden mit der Begründung, dies sei kein Hotel hier. Was ein dickes Kuvert an die Anwältin doch alles bewirken kann.) Auch kann ich den Besenstiel (oder auch Stecken oder auch Stock - wie Stockchef!) zum Rückentraining jetzt auch von 16.30 Uhr an über Nacht haben, was bisher "aus Sicherheitsgründen" unmöglich war. [Dass deswegen nun auch nach meiner Entlassung noch fleissig Aufseher gemobbt werden, ist die Kehrseite meiner Notizen.] Habe mir gestern 28. im ungeheizten Besuchsraum zudem eine gesunde Blasenentzündung eingefangen. Gemessen daran, wie wieviel Luft
ich in einen Plasiksack pusten kann (deutlich unter 3 Liter) und wie lange
ich einen Ton halten und die Luft anhalten kann, hat sich meine Lungenkapazität
im Vergleich innert erschreckend kurzer Zeit um 20 - 30% verringert. 6.
Business as usual Arztvisite verweigert
30.03. 7. Alibi-Arztvisite Nr. 2 vom 31.03. Werde morgens zu einer Besprechung u.a. mit Herrn Dalla Valle und Arzthelfer Herr K. abgeholt, "Diesmal ohne Handschellen.", und muss mein Gesuch um Spezialeinkauf (Medikamente und Ergänzungsnahrung) nochmals des langen und breiten erklären, ehe es bewilligt wird. Mittlerweile darf ich sogar das verschriebene homöopatische Medikament zur einmaligen Einnahme zugeschickt erhalten. Mittags kommt der Arzthelfer Herr K. zur Futterluke und erkundigt sich nach meinem Befinden. Meint dann aber, ich müsse das mit Dr. Holy besprechen. Habe den Eindruck, er sucht lediglich nach einem Grund, die Visite abzublasen. Ca. 15 Uhr Alibi-Visite bei Dr. Holy: Er habe das "Brieflein" von meinem Hausarzt inwzwischen erhalten, doch da stünden eh nur Früchte drauf. (Sprich er hat grad mal die erste Zeile knapp überflogen.) Wiederum entpuppt er sich als "begnadeter" Hobby-Psychologe mit Spezialgebiet Ferndiagnostik: Ohne mich überhaupt zu untersuchen kommt er zum Schluss, meine Leiden seien "ausschliesslich psychisch bedingt" (seine Lieblingsdiagnose auch bei anderen Gefangenen). Meine schwindende Lungenkapazität habe ich ausserdem unmöglich selbst feststellen können, . Mein Zahnfleischschwund sei ohne Bedeutung, er will es sich nicht einal ansehen, ohne Millimetermass hätte ich einen allfälligen Schwund auch unmöglich beziffern können. Dass ich eine Blasenentzündung habe, sei "unmöglich". Dann lässt er die Katze aus dem Sack: "Sie wollen den Leuten hier sowieso nur das Leben schwer machen". Da ist ein bisschen Strafe in Form "rein psychischer" Magen-, Darm- und Blasenschmerzen sowie Atemnot inkl. Spätfolgen ja wohl nur gerecht! Als wahrheitsliebender Mensch lasse ich mich nicht gern ungerechtfertigt einen Lügner schimpfen. Als ich deshalb schüchtern einwende, eine Blasenentzündung lasse sich doch wohl objektiv feststellen, ordnet er genervt eine Urinprobe an. Als ich diese nicht innert 60 Sekunden liefern kann, wird die Übung abgeblasen rsp. auf in 3 Tagen verschoben. (Wer schon mal eine Blasenentzündung gehabt hat weiss, dass damit innert 60 Sekunden auf Kommando zu pissen praktisch unmöglich ist, und dass eine Blasenentzündung, die nach 6 Tagen noch nicht am abklingen ist, derart schmerzhaft ist, dass eine Nichtbehandlung klar als besonders krasse Form von Folter einzustufen ist.) Als Mediziner dürften diese Tatsachen auch Dr. Holy bekannt sein. Doch auch er tröstet sich vielleicht mit der geographischen Gewissheit, dass Auschwitz erwiesenermassen nicht in der Schweiz liegt. Dass ich auch Jahre später
noch an Folgeschäden an meiner Lunge zu leiden
habe wegen verweigerter Medikamente und vernünftiger Ernährung
plus Schlafentzug und "Frischluft" aus Abgasen und Zigarettenrauch
rund um die Uhr ist da nur noch das Tüpfelchen auf den i. schriftlich beantragen Aus Hausbrief 23.03.:
Polaroidfotos gemäss Hausordnung 33.11. [...] Eine Polaroid-Foto kostet Fr. 2.10 [...] nur Fotos von ihnen persönlich und nur mit einem neutralen Hintergrund [...] nicht gestattet, zwei oder mehrere Personen auf einem Foto [...] Polaroid-Foto verweigert Normalerweise würden die Fotos am Nachmittag
von dem Tag hergestellt, an dem sie beantragt werden. In meinem Fall wurde
der 1. Antrag "zufällig" stillschweigend ignoriert. Am 2.
Tag wurden mir die Fotos trotz erteilter Bewilligung verweigert
mit der Begründung: "Ich arbeite nicht den 1. Tag im Knast, und wenn
ich sage, der Chef mache das dann in 2 bis 3 Tagen, ist das [Begründung]
genug." Zahnfleisch [siehe Beschreibung Brief RA Hug 26.03.] |
||