Der
gesamte Vorstand des Hausvereins am Kreuzplatz ist angeklagt
worden - wegen Hausfriedensbruchs.
Von
Thomas Isler
Das Polizeiaufgebot ist enorm. Vor dem Gerichtsgebäude
sind mehrere Beamte samt Polizeihund postiert, im Innern
haben andere Polizisten eine Eingangskontrolle aufgezogen.
Die drei Angeklagten und die gut 15 Zuschauer werden
mit dem Metalldetektor kontrolliert. «Plakate
haben mit zweideutigen Worten auf diesen Prozess aufmerksam
gemacht», erklärt ein Polizist und meint
dann entschuldigend: «Man weiss eben nie.»
Der Prozess verläuft jedoch sehr gesittet, ja der
Umgangston zwischen Einzelrichter und Angeklagten ist
von einer geradezu ausnehmenden Höflichkeit. Die
drei Angeklagten - nennen wir sie Kaspar, Melchior und
Balthasar - sind mit goldener Krone erschienen, die
sie bei Verhandlungsbeginn artig vor sich auf dem Pult
deponieren. «Unser guter Stern, die Anwältin,
konnte heute leider nicht kommen», beginnt Balthasar,
der Präsident des Hausvereins Klosbachstrasse.
«Weil wir Ihnen aber keinen Stress machen wollten,
verzichteten wir auf eine Verschiebung», sagt
er dem Einzelrichter. Das kurze Plädoyer der Anwältin
trägt der Präsident später selber vor.
Präsident,
Aktuar und Kassier
Die drei Männer im Alter von 35, 33 und 25 Jahren
- neben dem Präsidenten sind auch der Aktuar und
der Kassier des Vereins gekommen - sind wegen Hausfriedensbruchs
angeklagt. Die Bezirksanwältin fordert für
sie eine Busse von je 500 Franken. Weil die drei sich
seit dem 9. November 1997 gegen den Willen der Hauseigentümerin
in der Klosbachstrasse aufgehalten hätten. Es geht
dabei um ein Haus, das der Überbauung Kreuzplatz
hätte weichen sollen. Die Verteidigerin verlangt
einen Freispruch. Die Leute vom Hausverein hätten
die Eigentümerin per Brief angefragt, ob sie bis
zum Abbruch der Liegenschaft dort wohnen könnten.
Die laufenden Kosten für Strom und Wasser würden
sie
übernehmen - und das Haus bei Baubeginn ohne Umstände
wieder
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verlassen.
Die Eigentümerin, die Immobilien Paradeplatz Zürich
AG, habe dies zwar abgelehnt, weil sie von einem Abbruch
noch im Januar 1993 ausgegangen sei. In der Folge habe
sie es dann aber akzeptiert, dass der Hausverein auch
Strom und Wasser für Mieter und darüber hinaus
auch gewisse Gebühren für den Grundeigentümer
übernommen habe. Damit habe die Eigentümerin
die Offerte zu einer Gebrauchsleihe angenommen. Der
erst zehn Monate später gestellte Strafantrag sei
rechtsmissbräuchlich.Die drei Könige nützen
die Gerichtsverhandlung für persönliche Botschaften:
Am kürzesten fällt jene von Melchior aus,
dem Kassier des Vereins. Er habe gar nie an der Klosbachstrasse
gewohnt und sitze deshalb zu Unrecht auf der Anklagebank.
«Kassier eines Vereins zu sein», sagt er,
«ist nicht strafbar.» Der Präsident
wirbt für die Ziele des Vereins. Es handle sich
um eine Gruppe von Künstlern und Studenten, die
seit zehn Jahren immer wieder in anderen Abbruchliegenschaften
leer stehenden Wohnraum nutze. «Schliesslich ist
es doch im Sinn des Hausbesitzers, dass eine Liegenschaft
nicht ganz verwahrlost und Vandalen oder Drogensüchtige
anzieht, sondern von unkomplizierten Menschen bewohnt
wird, die nach dem Rechten sehen.»
Bitte
um ein warmes Plätzchen
Kaspar wiederum, der Aktuar, hebt zu einem ironischen
Pamphlet an, das auch dem Einzelrichter hin und wieder
ein Lächeln entlockt. «Warum ich gerne ein
Krimineller bin», nennt der Angeklagte seinen
Vortrag. Kaspar hat bereits früher wegen seiner
Beteiligung am Videofilm «Blutgeil» eine
Busse erhalten, die zu bezahlen er sich standhaft geweigert
hat. Mittlerweile sind daraus 33 Tage Haft geworden.
Der derzeitige Vollzugsnotstand hat aber zur Folge,
«dass auch ich zuerst 90 Tage akkumulieren muss,
bevor ich endlich als richtiger Krimineller gelte und
sitzen darf», bemerkt Kaspar enttäuscht.
Er bittet den Einzelrichter, ihm im Falle einer Verurteilung
zu helfen, endlich an ein «ruhiges, warmes Plätzchen»
zu kommen. Der Einzelrichter hört geduldig zu,
verkündet dann, das Urteil werde später schriftlich
zugestellt, und verabschiedet sich von den Angeklagten.
Die grüssen freundlich zurück, setzen ihre
Pappkronen auf und verschwinden.
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