R e k u r s   g e g e n   K u l t u r v e r b o t

Seelenlos c/o SSI  
Pf2122  
8031 Zürich  
zZt Flughafengefängnis  
Abt. Vollzug  
Pf  
8058 Zürich  

   Justizdirektion des Kantons Zürich          
Kaspar Escherhaus          
8090 Zürich          

Zürich, den 9.4.00                          


Rekurs gegen Verfügung Gefängnisverwaltung

   
Sehr geehrte Damen und Herren   hiermit erhebe ich Rekurs bzw Beschwerde gemäss § 36 StVG.  

1. Vorbemerkung        2. Sachverhalt       3. Anträge       4. Begründung 

Ich bin Kulturschaffender und Künstler, Mitarbeiter bei verschiedenen Print- und Onlinemedien sowie hautsächlich computerbasierten Musik- und weiteren vorwiegend audiovisuellen Projekten.  

Leider steht es mit meiner Gesundheit nicht zum Besten, und es dauerte geschlagene 3 Wochen (!), bis mir endlich die von meinem Hausarzt verschriebenen Medikamente sowie Zusatznahrung zugestanden werden. Aus Sorge um bleibende bzw langfristige gesundheitliche Schäden war ich deshalb gezwungen, meine eigentlichen Anliegen zwischenzeitlich zurückzustellen, so dass ich erst jetzt mit diesem Schreiben an Sie gelangen kann.  
 
Im Flughafengefängnis  
als Lektüre verboten: 

Reiterlein, [Hannes] 
[d.i. Münch, Hellmut Hubertus]:  
"Agenten des Lasters" 
(Serie Hanns Hart Bd. 2) 
Engelbert Pfriem Verlag, 
Wuppertal 1954

(Eines der 3 Bücher und 4 Zeitschriften, die u.a. Gegenstand dieser Beschwerde sind)

2. Sachverhalt  

a) Ich stellte bereits im Voraus am 19.2. ein schriftliches Gesuch um Selbstbeschäftigung während meiner Haftzeit, noch zHd VZ Urdorf, und wiederholte dieses Gesuch mündlich bei meinem Eintritt hier. Trotzdem wurden mir nicht einmal die in meinen Effekten sich befindlichen Schreibsachen (Kugelschreiber und Papier) ausgehändigt. Die ersten 24 Stunden erhielt ich auch sonst kein Schreibmaterial.  

In meinen Effekten befanden sich ausserdem: 1 486er-Laptop, 10 originalverpackte 2HD-Disketten, Manuskripte, 5 Bücher sowie 5 Zeitschriften 

Gegen Abend des 2. Tages (21.3.) hatte ich bezüglich meines Gesuches um Selbstbeschäftigung eine Unterredung mit den hiesigen Verantwortlichen Hr. Rohner und Hr. Dalla Valle. Ich bekräftige erneut mein Gesuch sowie meinen Anspruch auf Aushändigung obengenannter Effekten. Mir wurde umgehend Prüfung zugesichert, jedoch würden mir allenfalls nur Sachbücher und -Zeitschriften zugestanden;  
 
Im Flughafengefängnis  
für die bewilligte Selbst-  
beschäftigung erlaubt: 

Rollins, Henry: 
"Get in the Van" 
On the Road with Black Flag 
2.13.61 Publications, Inc. 
Los Angeles, 1994

zudem sei es verboten, allenfalls weitere Bücher etc aus meinen Arbeitsbeständen zu Hause zu erhalten, sondern ich müsste diese (sofern überhaupt noch lieferbar) nochmals neu kaufen und Markierungen allenfalls nochmals neu erstellen, wobei wiederum nur Sachbücher bewilligt würden und keinesfalls "solche vom Kiosk", worunter - auf Nachfragen meinerseits - beispielsweise Taschenbücher zu verstehen seien.  
 
  
Im Flughafengefängnis  
als Lektüre verboten: 

May, Karl: 
"Im Reiche des  
silbernen Löwen I & II" 
Zürcher Ausgabe 
getreu den Zeitschriften-Erstdrucken 
Haffmanns Verlag 
Zürich 1996

(Zwei der 3 Bücher und 4 Zeitschriften, die u.a. Gegenstand der Beschwerde sind)

Ein PC, mit dem auch Musik produziert werden kann, sei aus technischen Gründen nicht zu bewilligen, da das Benutzen von Wechselmedien und CD-Brennern generell verboten sei, womit die Benutzung der meisten aktuellen Musikprogramme ebenfalls verboten wäre. Desgleichen wäre ich auch genötigt, Musik- und Sampling-CDs (ob noch erhältlich oder nicht) nochmals neu zu kaufen
 

Am Abend des 5. Tages (!), also nach Ablauf einer ganzen Arbeitswoche, erhielt ich schliesslich mein Schreibzeug, den Laptop ohne Disketten, die Manuskripte, 2 meiner 5 Bücher sowie 1 meiner 5 Zeitschriften. Die Herausgabe der restlichen Bücher und Zeitschriften sowie der Disketten wurde mir ohne weitere Begründung verweigert.  

b) Betreffend Benutzung von Büchern wurde ich zudem auf die hauseigene Bibliothek verwiesen. Diesbezüglich erlaube ich mir folgendes anzumerken:  

Am 20.3. stellte ich ordnungsgemäss per Hausbrief Antrag auf das Bibliotheksverzeichnis, um Bücher ausleihen zu können. Wie hier leider üblich, wurde mein 1. Antrag erstmal stillschweigend ignoriert. Als ich am 22. deshalb meinen Antrag wiederholte und für den Fall erneuten stillschweigenden Übergehens (auch weiterer Pendenzen) eine Beschwerde in Aussicht stellt, erhielt ich am 23. oder 24. die Liste. Gleichentags bestellte ich ordnungsgemäss die 3 Bücher mittels speziellem Formular. Meine 1. Bestellung wurde (Wie könnte es auch anders sein?) stillschweigend übergangen. Nach der 2. Bestellung inkl. Beschwerde vom 2.4. hiess es dann, ich hätte falsche Bestellnummern angegeben, solche Nummern gäbe es in der ganzen Bibliothek nicht. Auf erneutes Nachhaken meinerseits schliesslich der Bescheid, die Nummern seien doch korrekt gewesen ("Es war nicht ihr Fehler"), aber die Bücher seien möglicherweise nicht mehr vorhanden, jedoch würde die Sache "abgeklärt". (Selber schuld, wer naiv genug ist daran zu glauben. Oder falls doch etwas abgeklärt wurde, hielt man es jedenfalls nicht für nötig, mir dies auch mitzuteilen.)  

Nach Bestellung inkl. Beschwerde (Hausbrief) Nr. 3 vom 6.4. dann für einmal zufällig ein gutwilliger und auch kompetenter Mann am Werk, und ich erhalte am 8.4. nach 19 Tagen (!!!) die gewünschten Bücher. Sei ganz leicht gewesen, einfach hingehen und holen!  

(Dass in der hiesigen Bibliothek von "Archipel GULAG" lediglich die Bände 2 und 3 vorhanden sind, wobei im Verzeichnis Bandangaben fehlen und als Autor "Scherz" angegeben ist, runden dieses für hiesige Betriebsvorgänge leider allzuoft symptomatische Beispiel lediglich noch ab.)  

3. Anträge  

1. ) a) Es seien mir unverzüglich die übrigen in meinen Effekten sich befindlichen Bücher und Zeitschriften auszuhändigen.  
 
  
Im Flughafengefängnis  
als Lektüre verboten: 

Reprints der legendären  
50er-Jahre EC-Comics 
welche in Amerika im Zuge der  
McCarthy-Hexenjagden  
als "jugendgefährdend"  
verboten wurden.

(Zwei der 3 Bücher und 4 Zeitschriften, die u.a. Gegenstand der Beschwerde sind)
  
b) Es sei mir zu ermöglichen, nicht nur, aber auch für die bewilligte Selbstbeschäftigung weitere Bücher und sonstige Druckerzeugnisse, CDs, CD-ROMs etc, ohne Beschränkungen bezüglich Genre und Art der Herstellung usw., in beleibiger Anzahl auch aus meinen privaten Beständen zur freien Benutzung zu überlassen.  

2. ) Es sei mir zu gestatten, nicht nur, aber auch für die bewilligte Selbstbeschäftigung Disketten und andere Datenträger inkl. CD-ROMs, DVDs usw., sowie die dazu benötigten Zusatzgeräte, zu benutzen, sowie die Träger zu versenden und zustellen zu lassen.  

(Die Zensur analog zur Briefpost ist dabei ohne weiteres möglich. Im Falle Befürchtungen betreffend versteckten Dateien können die auf den Trägern sich befindlichen deklarierten Dateien auf einen neuen Träger verschoben bzw. nach erfolgter Neuformatierung wieder auf den alten Träger zurückkopiert werden.)  

3. ) Analog zur Briefpost und Punkt 2. ) sei mir zumindest indirekte Abfragen von www-Suchmaschinen und das Herunterladen gewünschter Internetseiten zu ermöglichen.  

5. ) Werden mir einer oder mehrere Anträge ganz oder teilweise verweigert, so hat dies unter genauer Bezeichnung der Rechtgrundlagen zu erfolgen, inkl. Rechtmittelbelehrung, wie ich allenfalls auch betreffende Erlasse, Verordnungen etc., allenfalls auch nach meiner Haftentlassung, weiter anfechten kann.  

4. Begründung der Anträge   

a ) Zu 1.), 2.), 3.) und 4.): In der Schweiz bestehen meiners Wissens nach gemäss Verfassung u.a. Berufs-, Kunst-, Informations-, Kultur-, und Meinungsäusserungsfreiheit. Meine derzeitige Situation (vgl. 2. ) a) und b)) bedeutet nicht nur für kulturell arbeitende Menschen einen vorsätzlichen Tiefschlag, sondern spottet schlichtwegs jeder auch nur halbwegs zivilisierten Vorstellung von Menschenwürde, Meinungsfreiheit und den andern obengenannten Rechten. Unter diesen Umständen kann ich unmöglich in Würde literarisch und künstlerisch arbeiten und meinen angestammten Tätigkeiten nachgehen. Zudem ist mir kein Paragraph oder Artikel bekannt, nach dem mir diese Rechte aufgrund einer Inhaftierung verweigert werden können und ich somit offiziell zum Menschen 2. Klasse degradiert werden könnte.  

b ) zu 2.), 3.) und 4.): Auch wenn es sich vielleicht noch nicht ganz überall herumgesprochen hat: Wir leben mittlerweile im 21. Jahrhundert. Den Informationsaustausch auf beschriebenes Papier beschränken zu wollen ist m.E. heutzutage ähnlich anachronistisch wie von einem Gefangenen des letzten Jahrhunderts zu verlangen, seine Korrespondenzen usw. mittels Federkiel auf Pergament zu schreiben.  

c ) zu 2.) und 3.): Betreffend meiner bewilligten Selbstbeschäftigung möchte ich zusätzlich anmerken, dass ich, wie unter 1. aufgeführt, u.a. für verschiedene Print- und Onlinemedien tätig bin. In meiner jetzigen Situation bin ich gezwungen, sämtliche Beiträge von Hand zu schreiben und am nächsten Tag auf die Post zu geben, worauf sie zwecks Briefzensur bis zu 5 Tagen (!!!) hier im Hause "zwischengelagert" werden, dann die Adressaten nochmals mindestens einen Tag später erreichen, worauf sie zur Weiterverwendung zuerst noch abgetippt werden müssen. Ich betrachte dies als eine krasse, durch nichts zu rechtfertigende und zudem klar verfassungswidrige Behinderung meiner schriftstellerischen Arbeit, gegen die ich hiermit aufs Schärfste protestiere. Diese Behinderung fällt umso schwerer ins Gewicht, als mir meine anderen angestammten Tätigkeiten hier sowieso grösstenteils verboten sind (vgl u.a. 2. a), 2. letzter Abschnitt betreffend Musik-PC).  

d ) Zu 1.) bis 5.): Es geht mir nicht um persönliche Privilegien, sondern um die Freiheit der Kultur. Ich mag nicht mit allem hierzulande einverstanden sein, doch ich war immer stolz in einem Land aufgewachsen zu sein, in dem - im Gegensatz etwa zu Nazi-Deutschland oder den "realsozialistischen Ländern" - die Kulturfreiheit weitestgehend gewährleistet war. Soviel zur Vergangenheit. Heute sitze ich als "gemeingefährlicher Häftling" im Flughafengefängnis, einzig, weil ich als Kunstschaffender wiederholt meinen Beruf ausgeübt habe ohne bisher damit finanziell auf einen grünen Zweig gekommen zu sein. Höchstwahrscheinlich wird es weder für mich das letzte Mal, noch werde ich der letzte hierzulande aus diesem Grunde inhaftierte Künstler sein. Dies als Vorbemerkung.  

Umso skandalöser empfinde ich die Art und Weise, wie hier im Flughafengefängnis (und wohl auch anderswo) auch die übrigen Inhaftierten mit teilweise fadenscheinigen Ausreden (Weshalb können z.B. eigene Kleider erlaubt werden, eigene Bücher jedoch aus "Sicherheitsgründen" nicht? Weshalb sollen Gefangene, wohlbemerkt im Vollzug, aus "sicherheits-" bzw "verwaltungstechnischen Gründen" keine zeitgenössische Musik produzieren, noch zeitgemässe Kommunikationsmittel benutzen dürfen? und so weiter...) systematisch aufs Beschämendste daran gehindert werden, laut Verfassung garantierte kulturelle Rechte und Freiheiten auszuüben bzw zu geniessen.  

Aus diesen Gründen werde ich diese Beschwerde auch nach einer allfälligen Entlassung leider nicht als erledigt betrachten können.  

In der Hoffnung, dass Sie meine Anträge innert nützlicher Frist objektiv prüfen und beantworten werden, verbleibe ich  
  

mit freundlichen Grüssen  
  

Seelenlos 

 


No.  6'666'667


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